Eintrag vom 23. November 2020

Türöffner in die digitale Welt

Wie nutzen Menschen mit Behinderungen digitale Medien?

Die Pandemie treibt die Digitalisierung zusätzlich an. Können Menschen mit Behinderungen mit dieser Entwicklung mithalten? Dieser Frage stellte sich das Forschungsbüro Menschenrechte der Lebenshilfe in seiner neuesten Studie.

Isabella Neumeister im Forschungsbüro der Lebenshilfen Soziale Dienste

Leiter Kurt Feldhofer über Entstehung und Ergebnisse

In einer immer schneller werdenden Welt befinden wir uns in einer Übergangsphase: Viele Bereiche unseres alltäglichen Lebens sind noch „analog“ bewältigbar, doch gleichzeitig schreiten Technisierung und Digitalisierung zügig voran. Hauptsächlich alte Menschen und Menschen mit Behinderungen (und hier vornehmlich jene mit Lernschwierigkeiten) stehen dabei vor besonderen Chancen, aber auch hohen Herausforderungen.
Diese Überlegungen veranlassten das Forschungsbüro Menschenrechte zu seinem aktuellen Projekt „Herausforderungen der Nutzung digitaler Medien für Menschen mit Behinderungen“.

Die Situation

Schon bei der vorigen Studie, die sich mit der politischen Teilhabe und Wahlbeteiligung von Menschen mit Behinderungen beschäftigte, zeigte sich, dass diese das Internet als Quelle nur sehr peripher nutzen. Würde sich das bei der neuen Forschungsarbeit bestätigen? Wir machten uns also an eine Bestandsaufnahme, mit folgenden Ergebnissen:

  • Menschen mit Behinderungen nutzen digitale Geräte in einem deutlich geringeren Ausmaß als Menschen ohne Behinderungen.
  • Jede fünfte Person mit Behinderungen verfügt über kein digitales Gerät.
  • Die Gruppe der Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen sind am ehesten von digitaler Exklusion betroffen. Hauptgründe dafür sind mangelnde Medienkompetenz, aber oftmals auch die Einstellung des persönlichen Umfeldes.
  • Die Lebensbedingungen sowie Fertigkeiten wie Lesen und Schreiben erschweren zusätzlich eine gleichberechtigte Nutzung von digitalen Medien.
  • Nur die Hälfte der Personen mit Behinderungen hat einen Internetzugang, was wiederum mit zahlreichen Einschränkungen in der Nutzung vieler Dienste einhergeht.

Schulung und Sensibilisierung

Für die Arbeit des Forschungsbüros ist es von großer Bedeutung, nicht nur Zahlen zu erheben und Studien zu erstellen, sondern die Ergebnisse auch gesellschaftlich nutzbar zu machen. Aus unserer Sicht leiten sich aus den Ergebnissenvor allem zwei Forderungen ab: die Schulung der Medienkompetenz und die Sensibilisierung des Umfeldes.

Bei den Schulungen ist höchstmögliche Praxisnähe wichtig. Die vermittelten Kenntnisse sollten mit dem Alltag der Menschen zu tun haben. Dabei ist eine ausgewogene Mischung zwischen Theorie und Praxis wesentlich. Im Idealfall sollte das, was theoretisch gelernt wird, dann gleich praktisch ausprobiert werden.

Auch Personen, die mit Menschen mit Behinderungen arbeiten, müssen geschult werden: einerseits im Umgang mit digitalen Geräten, andererseits darin, diesen Umgang anderen Personen gut zu vermitteln. Für die Sensibilisierung des Umfeldes müssen ebenso erfolgversprechende Modelle entwickelt werden.

Das kann von Workshops bis hin zu Aktionen oder Kampagnen gehen. Gerade die aktuelle Situation rund um Covid-19 zeigt, wie wichtig es ist, sich in der digitalen Welt zurechtzufinden – um über Smartphones, E-Mails, Internet und über soziale Medien informiert und mit Freunden, Familie oder Betreuungspersonen in Kontakt zu bleiben. Wenn unsere Studie dazu einen Beitrag leisten kann, hat sie ihr Ziel erreicht.


"Für ein inklusives Design"

setzt sich Heinz Wittenbring, Lehrender an der FH Joanneum am Master-Studiengang Content Strategy ein. Wir haben ihm unsere Studie gezeigt und ihm ein paar Fragen gestellt.

heinz_wittenbrink

Heinz Wittenbring

Fast ein Viertel der Menschen mit Behinderungen verfügen über keinen Online-Zugang. Überrascht Sie diese Zahl?

Die Online-Welt ist ein Spiegel, oder eigentlich die gesteigerte Verlängerung, unserer auf Wettbewerb ausgerichteten Marktwirtschaft. Menschen, die an dieser Gesellschaft schwerer teilnehmen können als andere, sind online auch, was die Inhalte angeht, weniger willkommen.

Wie kann die Medienkompetenz von Menschen mit Behinderungen gestärkt werden?

Indem man Angebote schafft, die für sie das Leben angenehmer machen. Es kommt nicht auf abstraktes Wissen an – das kann bei den meisten digitalen Anwendungen schnell erworben werden, wenn man es braucht. Es kommt darauf an, alltäglich digitale Technologien zu verwenden. Dazu müssen diese so designt sein, dass sie niemanden ausschließen. Auf ein solches inklusives Design wird in den letzten Jahren in der Design-, Entwickler- und Content-Strategie-Szene immer mehr Wert gelegt.

Werden benachteiligte Personengruppen in Zukunft eher verstärkt das Internet nutzen oder weiter hinausgedrängt?

Da immer mehr Prozesse über das Internet ablaufen, werden auch Benachteiligte immer mehr darauf angewiesen sein – beim Einkaufen, in der Arbeit, in der Kommunikation mit Behörden, bei der Weiterbildung usw. Ob sie diese Bedürfnisse erfüllen können, hängt davon ab, ob man sie
gezielt fördert und ob man durchsetzt, dass alle Anwendungen und Websites auch tatsächlich von allen benutzt werden können, also barrierefrei sind.

Das ist eine Geschicht aus unserem Magazin Lebenzeichen. Das gesamte Magazin können Sie sich hier herunterladen:

Wenn Sie das Lebenszeichen gedruckt nach Hause geliefert bekommen möchten, schreiben Sie uns eine E-Mail an office@lebenshilfen-sd.at.