Eintrag vom 22. März 2023

„Krieg ist in der Seele sehr schwer zu ertragen“

1 Jahr Ukraine-Hilfe bei der Lebenshilfen Soziale Dienste - Ein Erfahrungsbericht

Als die ersten Vertriebenen aus der Ukraine im März 2022 in der Steiermark ankamen, reagierte die Lebenshilfe rasch und stellte Flüchtlingsquartiere zur Verfügung. Rund 90 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, haben so bei der Lebenshilfe mehr als ein Dach über dem Kopf gefunden. Ein Team von engagierten Mitarbeiter:innen, einige davon mit Ukrainisch bzw. Russisch als Erstsprache, unterstützen sie.

Eine Frau mit Baby und zwei Teenagern

Eva Reithofer-Haidacher war von Anfang an die treibende Kraft in der Flüchtlingsbegleitung. 10 Jahre war sie vorher in der Öffentlichkeitsarbeit tätig. Schon seit langem ist sie privat in der Flüchtlingshilfe engagiert, und als die Lebenshilfe im März 22 die ersten Ukraine-Flüchtlinge aufnahm, wechselte sie den Bereich und hat Wohnraum für dutzende Familien organisiert.

Sie berichtet: „Vor einem Jahr waren da so viele Fragen und keine Zeit, lange über Antworten nachzudenken. Wie können wir die Menschen, die unmittelbar vom Ausbruch des Krieges in der Ukraine betroffen sind, unterstützen? Lebenshilfe-Mitarbeiter:innen sammelten sofort Sachspenden für Hilfslieferungen. Dann kamen auch schon die ersten Vertriebenen zu uns. Ein Haus in Söding und zwei Wohnungen in der Casalgasse standen leer und wurden in kürzester Zeit für mehr als 30 Menschen eingerichtet. In wenigen Tagen waren sie voll belegt – und da stand eine hochschwangere Frau mit ihrer Familie vor der Tür. Wohin? Innerhalb von zwei Tagen stellte uns die Merkur-Versicherung eine Wohnung zur Verfügung."

Immer mehr Menschen kamen. Hilfe kam von Unternehmen und Privatpersonen. Heute habt unsere Lebenshilfe 18 Quartiere, in denen mehr als 90 Kriegsflüchtlinge wohnen. Doch nur ein Dach über dem Kopf zu haben war zu wenig. Die Geflüchteten benötigten Hilfe im Alltag – bei Behördenwegen, Schuleintritten, Arztbesuchen und vielem mehr. Edith Reinisch. Leiterin in Söding und Harald Weber, Leiter in der Casalgasse haben spontan Großartiges geleistet, doch brauchte es bei den vielen neuen Bewohner:innen eine Struktur mit ukrainisch-sprachigen Mitarbeiter:innen.

Karen Karapetyan, von Anfang an ein energiegeladener Motor, wechselte von der Schulassistenz zur Flüchtlingsbegleitung. Yuliya Nyestyerova und Khedi Artsueva folgten. "Ich darf dieses super Team leiten und bin dankbar für die Erfahrung, wie wenig Zeit es im Notfall braucht, von der Frage über die Antwort zum Tun zu kommen, so Eva Reithofer Haidacher.


ein Mann und drei Frauen

Karen Karapetyan, Eva Reithofer-Haidacher, Yuliya Nyestyerova, Khedi Artsueva


Karen Karapetyan hat schon als junger Mensch erlebt, was es heißt, die Heimat verlassen zu müssen: Mit 17 Jahre ist er mit seiner Familie von Armenien in die Ukraine ausgewandert, als der Konflikt mit Aserbaidschan 1999 zu eskalieren drohte. Dort geriet er 2014 durch seine Arbeit als Regisseur wieder zwischen die Fronten und musste mit seiner Frau fliehen. „Wir sind nach Graz gekommen, wo wir anfangs als Asylwerber in einer Pension lebten. Ich weiß also, wie es ist, in der Fremde zu landen. Als der Krieg in der Ukraine Ende Februar ausbrach, habe ich einige Geflüchtete bei mir privat untergebracht, anderen bei der Quartiersuche geholfen."

Ihm war es unheimlich wichtig, einen Beitrag zu leisten. „Als ich Mitte März gefragt wurde, ob ich in der Begleitung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen bei der Lebenshilfe arbeiten möchte, habe ich keine Sekunde gezögert. Am Anfang war es sehr turbulent, wir haben innerhalb weniger Wochen zehn Quartiere eröffnet und fast 70 Personen aufgenommen. Aber ich mag Stress, das ist meine Natur. Mit unserem sehr engagierten Team haben wir diese Zeit gut gemeistert. Was ich mache? Alles, damit die Vertriebenen sich hier zurechtfinden können. Ich begleite die Leute bei Behörden- und Arztwegen, helfe ihnen, sich zu orientieren, zeige ihnen günstige Einkaufsmöglichkeiten oder melde sie bei Kursen und in der Schule an. Die Arbeit gefällt mir, weil ich Menschen gerne helfe.“


Eine Frau mit Baby und zwei Teenagern

Yulia Dvorska im Sommer 2022 mit Baby Nikol, Tochter Arina (17) und Sohn Vlad (12)


Noch gut weiß Yuliya Dvorska, wie sie vor einem Jahr mit ihren beiden Kindern und im siebten Monat schwanger aus der Ukraine nach Österreich kam. „Es war sehr anstrengend. Wie sollte ich in einem fremden Land zurechtkommen?“ Jede Rettung, die vorbeifuhr, jede Sirene Samstagmittag rief ihr die Schrecken der Angriffe auf ihre Heimatstadt Dnipro in Erinnerung.

„Als der Krieg begann, war ich in der Territorialverteidigung, half den Verwundeten und tat, was ich konnte. Aber die Zeit der Geburt kam und ich wurde mit den Kindern ins Ungewisse geschickt. Wir gingen und ließen meine Mutter, meinen Mann, meinen Bruder und meine Familie zurück. Ich weiß nicht, ob wir uns irgendwann wiedersehen. Das Gefühl, die Menschen verraten zu haben, ließ mich lange nicht los. Krieg ist in der Seele sehr schwer zu ertragen."

Es war tröstlich, dass die Lebenshilfe mit einer Wohnung in Andritz nicht nur ein schönes Zuhause, sondern auch eine kompetente Begleitung sicherte. Lebenshilfe-Mitarbeiter Karen Karapetyan organisiert Arzttermine, Behördengänge, Schulbesuche und vieles mehr für die Familie und begleitet sie als Übersetzer zu Terminen. „Wir hatten nicht einmal damit gerechnet, dass wir eine Wohnung bekommen würden. Ich dachte, wir würden auf der Straße schlafen. Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung und wir schätzen es sehr. Österreich ist ein sehr schönes Land mit freundlichen Menschen“, sagt Yuliya Dvorska. Letzten Mai kam Töchterchen Nikol zur Welt – ein Hoffnungsschimmer in einer schwierigen Zeit.

Yuliya Dvorska sehnt sich nach ihrer Heimat, ihrem Mann, ihrem Beruf, ihrem Haus mit Garten: „Wir denken nicht an die Zukunft. Wie es kommt, so kommt es.“

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