Comebackplan der Regierung als Chance für eine inklusivere Gesellschaft
Kommentar von Geschäftsführerin Susanne Maurer-Aldrian
Jüngst hat die Bundesregierung bekannt gegeben, einen Comebackplan zur Bewältigung der Coronakirse zu erarbeiten. Drei Schwerpunkte wird dieser haben: Arbeit, Digitalisierung und Ökologisierung. Man will modernisieren und nicht nur konservieren. Hinter dem derzeit auch andernorts vielbeschworenen Mantra, die Pandemie auch als Chance zu verstehen, steckt die Hoffnung, dass die Krise neue Perspektiven auf eingefahrene Routinen und selten hinterfragte Glaubenssätze eröffnet.
Daher fordere ich dazu auf, den Plan zur Bewältigung der Coronakrise von Anbeginn an inklusiv zu denken – in allen Facetten. Eine moderne Gesellschaft ist eine inklusive Gesellschaft. Alle drei Schwerpunkte bieten wunderschöne Ansatzpunkte, die Chance zu ergreifen, vom Staat Finanziertes inklusiv – ohne Barriere für bestimmte Menschengruppen – zu planen und umzusetzen. Für den neuen Gesundheitsminister bietet sich dabei gleich am Anfang seiner Amtszeit eine gute Gelegenheit, einen ersten Akzent als Verantwortlicher im Sozialressort zu setzen und eine wichtige Weiche in Sachen Inklusionspolitik zu stellen.
Aufholbedarf beim barrierefreien Zugang zu digitalen Medien
Was in der Digitalisierung steckt, erhoffen, erahnen und befürchten wir nicht erst seit der Coronakrise. Sie ist allgegenwärtig. Richten wir den Spot aber auf jene, die nicht nur zur priorisierten, typischen Usergruppe zählen, erkennen wir dringenden gesellschaftspolitischen Handlungsbedarf, um nicht neue Formen struktureller Ausgrenzung weiter zu manifestieren.
Das Forschungsbüro Menschenrechte der Lebenshilfen Soziale Dienste in Graz (hier forschen Menschen mit Behinderungen zu Themen, die sie selbst betreffen) hat 2021 die Ergebnisse einer partizipativen Studie zum Thema Barrierefreiheit in der digitalen Welt veröffentlicht. Die Studie zeigt, dass Menschen mit Behinderungen eine wesentlich geringere Nutzung von digitalen Medien aufweisen. 550 Menschen mit und ohne Behinderungen wurden befragt, die Ergebnisse lassen aufhorchen: 45 Prozent der Menschen mit Behinderungen nutzen kein Internet, bei Menschen ohne Behinderungen sind es nur zwei Prozent. 17 Prozent der Menschen mit Behinderungen nutzen kein technisches Endgerät wie Smartphone Tablet oder PC, bei Menschen ohne Behinderungen kommt dies kaum vor.
Was sind die Gründe für diese Ergebnisse? In erster Linie fehlt der Zugang zu den technischen Geräten. Vor allem barrierefreie aber auch leistbare Smartphones, Tablets usw. gibt es nicht für alle Menschen. Dann fehlt es ganz eindeutig an Wissen über die Möglichkeiten und Potenziale im Umgang mit der digitalen Welt – nicht nur bei den Menschen mit Behinderung, sondern auch in deren Umfeld. Schlussendlich wird als ein sehr häufiger Grund für die mangelnde Mediennutzung der befragten Personen mit Behinderungen angeführt, dass ihr persönliches Umfeld einer Nutzung ablehnend gegenübersteht.
Laut UN Behindertenrechtskonvention hat jeder Mensch das Recht auf den Einsatz von Technologien und auf einen freien Zugang zu Informationen, um eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen. Gleichberechtigte Teilhabe eröffnet wiederum den Gebrauch von Technologien und den freien Informationszugang. Win-Win.
Schritte für mehr gesellschaftliche Teilhabe setzen
Gerade staatliche Investitionsoffensiven und Comebackpläne kommen nicht daran vorbei, nun gesellschaftspolitische Akzente im Sinne der Inklusion zu setzen. So muss etwa Barrierefreiheit ein Kriterium in allen Vergabeprozessen sein – speziell bei Digitalisierungsoffensiven. Ein Aspekt der Combackpläne sollten auch Forschungsprojekte zu den Themen Künstliche Intelligenz (KI) und neue Technologien im Kontext von Menschen mit Behinderungen sein.
Dass der fehlende Zugang zu technischen Endgeräten zur digitalen Mediennutzung kein solitäres Phänomen bei Menschen mit Behinderung ist, haben nicht zuletzt die Debatten um Homeschooling und Homeoffice bewusst gemacht. Es braucht also eine flächendeckende Offensive um den Zugang zu technischen Geräten zu erleichtern – im Sinne der Ökologisierung sollen und können diese jedenfalls re-used sein.
Beratung und Schulungen für alle
Um alle Menschen gleichermaßen und flächendeckend über die Möglichkeiten, Potenziale und auch Risiken der digitalen Welt zu informieren, benötigen wir barrierefreie Beratungseinrichtungen („one-stop-shops“) zu den Themen Künstliche Intelligenz und Digitalisierung. Diese sind nicht nur technisch, sondern auch sprachlich barrierefrei.
Kostenfreie Angebote inklusiver Schulungen für Menschen mit Benachteiligungen, die es ihnen ermöglichen digitale Kompetenzen (auch bezüglich der Nutzung sozialer Medien) zu erwerben, sollten auch für das soziale Umfeld der Menschen mit Benachteiligungen nutzbar sein (Persönliche Assistent*innen, Eltern, Geschwister etc.) Als wir vor einigen Wochen unsere Studie in der Steiermark veröffentlichten, erhielten wir viele Anrufe – gerade von älteren Menschen. Der Bedarf an diesen Schulungen sollte ganz rasch und sehr gemeindenah abgewickelt werden. Sie bieten außerdem die Chance zur Schaffung spannender neuer Arbeitsplätze.
Vermittlung digitaler Kompetenzen im Bildungssystem verankern
Kein Weg führt daran vorbei, dass digitale Kompetenzen grundlegend im inklusiven Bildungssystem (von der Volksschule bis zur Erwachsenenbildung) vermittelt werden – genauso, wie das Wissen um Gefahren im Internet und Datenschutz. Hier geht es zum einen um ein eigenes Unterrichtsfach, sowie zum anderen um die technische Ausstattung für alle Kinder und Jugendlichen.
Auch im Sozialbereich fordern wir dringend eine Anpassung der Curricula: In den Grundausbildungen aller Pflege- und Sozialberufe muss das digitale Empowerment ein Pflichtfach sein.
Inklusion für Unternehmen attraktivieren
Schlussendlich muss man in bewusstseinsbildende Maßnahmen investieren, um Unternehmen auf die Expertise von Menschen mit Behinderungen in der Entwicklung von Technologien aufmerksam zu machen – z.B. in Form von Preisen für Unternehmen, die über disability mainstreaming verfügen, durch das Angebot von Workshops, etc.
Technologie-Riesen wie Microsoft haben das Potential von Menschen mit Behinderungen als wertvolle Arbeitskräfte aber auch als Kund*innen bereits entdeckt: Der Software-Entwickler stellt etwa unter dem Stichwort „inclusive hiring“ Menschen mit Behinderungen ein, die Teil diverser Teams sind und von Anfang an in die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen eingebunden werden. So werden nicht nur die Produkte von Microsoft barrierefreier, gleichzeitig entsteht auch ein inklusiverer Arbeitsmarkt. Beispiele wie dieses sind auch für Österreich wünschenswert, diese zu fördern und zu ermöglichen muss logischer Teil eines modernen Comebackplans der österreichischen Bundesregierung sein.
Zur Person:
Susanne Maurer-Aldrian ist Geschäftsführerin der Lebenshilfen Soziale Dienste GmbH, die sich für eine offene und bunte Gesellschaft, sowie für soziale Fairness einsetzt. Ziel der Organisation ist die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen mit und ohne Behinderung. Um das zu erreichen, unterstützen rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Graz, Graz-Umgebung, Voitsberg und Deutschlandsberg mehr als 2.500 Menschen aus allen Lebensbereichen bei der Bewältigung vielfältiger Herausforderungen und bei der Entfaltung ihrer Potenziale.
Weitere Informationen:
Studie zum Thema » „Herausforderungen bei der Nutzung digitaler Medien für Menschen mit Behinderungen"
Im Forschungsbüro Menschenrechte beschäftigen sich Menschen mit Behinderungen mit Themen, die sie betreffen, wie Einhaltung der Menschenrechte, politische Teilhabe, Barrierefreiheit ... Der Kern des Aufgabengebiets besteht darin, anhand der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen Grundlagenforschung für die Verwirklichung dieser Rechte zu leisten. ( » https://www.lebenshilfen-sd.at/Arbeiten/arbeiten_in_werkstaetten/Forschungsbuero-Menschenrechte)